Sonntag, 5. Juni 2011

Ein E-Mail der Liebe für Amy Whinehouse von Julio Barriga


Sie ist eine britische Sängerin, hinter der alle her rennen, wie hinter einer Henne aus Entre Rios,
die eine riesige und zerstörerische Karriere macht, seit sie 13 Jahre alt ist.

Sie säuft und schlägt sich in den Kneipen rum. Es bleibt ihr aber noch Zeit um eine exzellente Gitarristin und inspirierte Liedermacherin zu sein.

Ihr Ding ist der Soul, eine Mischung aus Jazz und Blues. Sie macht auch Reggae mit einem Tick Calypso und anderen „tropicalischen“ Weisen, Rock-Balladen, wie in den 60ern. 

Und all das mit klagenden Texten und einem Tourett Syndrom. Um es freundlich zu sagen: Obszönität, Gewalt, expliziter Sex.

Amy ist in der Matrix berühmt für ihr schlechtes Benehmen und ihre Exzesse, mehr als für ihre Kunst. Sie erschafft ihr Werk mit überraschender und roher, niemals mit pasteurisierter Ernsthaftigkeit.

"Addicted", "Rehab", und - ultra retro - "Fuck my pumps". "Back to Black" ist bisher ihr bestes Album. Es ist  eine kulturelle, musikalische und moralische Ausnahmeerscheinung. Für sie ist das Singen so natürlich wie das Atmen. Sie hält niemals ein um Luft zu holen, gleichzeitig ist sie aber verschnupft bis auf die Knochen und heiser.

Sie erreicht seltene Höhepunkte in ihrem Gesang, ohne die Stimme zu heben sondern tief, fast bis zum ihrem Verstummen. Wie das Flüstern einer von einem Schrank erdrückten Katze. Perfektion in der Ohnmacht, rauh und zögerlich.

Sie tanzt manchmal aus dem Takt und als würde sie pinkeln. Schöner als ein Klipper, der einen Sturm durchschneidet, zeigt sie auf perfekte Weise das Oxymoron von Borges: eine graziöse oder elegante Ungeschicklichkeit. Und sie erscheint mir als eine pathetische Schönheit der erhabenen Hilflosigkeit, jemand dessen Kraft aus der Zerbrechlichkeit kommt, einer wilden Unschuld, einer finsteren Zärtlichkeit.

Amis Beine aus Stricknadeln, Ektoplasma. Kosmische Lillith Augen in einem Babylon der Informatik. Ihre lombrosonischen Tätowierungen, ihr buschiges Haar, ihre Nase für ein halbes Gramm.

Und es erscheint, dass Alles in ihr immens groß ist. Verführerisch zu singen, ist für sie leichter als zu pupsen. Sie ist ein Vögelchen, ein Tiger, plötzlich und wie es ihr gefällt. Sie singt mit der perfekten Gelassenheit einer Statue. In Wirklichkeit ist für Amy alles Scheiß egal. Mit jedem Ton küsst sie uns und nimmt uns alle zärtlich, mit der tiefen Überzeugung, dass sie genau weiß, was sie hat. 

Mein Streben in der Poesie ist der perfekte Klang und Amy ist ohne Zweifel der perfekte Klang im Gesang. 

In Glastombary 2007 beherrschte und demonstrierte sie ihre Begabung. Sie ist die Besitzerin des Zirkus, den sie zu unserem Erstaunen wie eine Atomuhr entwickelt. Die Omnipotenz ihrer Bühnenmacht befiehlt dem Publikum und dem Orchester zu tanzen wie ihre zahmen Hündchen …

Und sie hält den Regen an! Es gibt einen Moment in welchem sie das Licht in meiner Dunkelheit ist. Sie kann nicht mehr als ein Travestie-Engel mit Flügeln einer Fledermaus sein. Ein lebendes Paradigma der göttlichen Grazie. Es ist göttlich weil es dämonisch ist. 

„Ein jeder Engel ist schrecklich. Aber dennoch, wer, wenn ich schriee, hörte mich aus der Engel Ordnungen?“ -
Rilke, „Die erste Elegie“.

Eine Künstlerin, die sich als Ideal herausstellt, um sich unsere Karmas aufzubürden, kathartisch, eine extravagante Fee, die auch eine "Witch" sein könnte.

In Lissabon „Rock en Rio 2008“, erreicht sie ein hohes Maß an raffinierter Perfektion, pathetisch und ungeschützt. Sie ist immer kurz davor von ihren hohen Schlumpfine-Absätzen zu stürzen. Die Hosen voll, wie man sagt, über die Boxen stolpernd und sich nach dem magisch immer vollen Glas bückend. Sie ist in der Lage, auf allen Vieren zu singen und dabei ein Bonbon zu lutschen, in einer unverwüstlichen Stimmung - rotzig!

Sie bewegt uns so sehr, wenn sie seufzt: "Love is a losing game". Sie erinnert an einige Hundsgemeinheiten ihrer Existenz. Und der Drink beginnt ihr zu den Augen heraus zu kommen. So kraftlos verwandelt sie sich in eine sublime Verführerin. Die vielen Schwarzen tanzen inzwischen euphorisch.

Sie warnt uns mit dieser perversen Naivität, die sie nutzt und ausnutzt, da sie nicht gut ist. "You know I am not good". „Wir wussten es schon, Amy“. So als hätten wir diese eisige Wahrheit schon immer gekannt. Die einzigen guten Mädchen sind die bösen. Es ist ihr erratisches Verhalten in einer heiligen Trance. Sie hat die Fähigkeit, dich glauben zu machen, dass nur du derjenige bist, ausschließlich du, an den sie sich wendet. Deshalb ist das Publikum dann läufiger, als ein Affe, der vom Dach hängt. Und die Schwarzen aus dem Chor springen und hüpfen wie Frösche, bestreut mit Salz.

Bei diesem Hexensabbat in Glastonbury (Isle of White 2007, dem einzigen Nachruf auf Woodstock) präsentiert sie eine Huldigung an nichts weniger als ihre satanische Majestät. Sie ist nicht irgendjemand, sie ist die stimmlose Sängerin, die Sängerin des Dorfes der Ratten von dem Kafka spricht. Amy rettet uns und erlöst und befreit uns indem sie sich selbst zerstört. Es gibt etwas von einer morbiden Faszination in diesem wunderschönen Wesen, ein Faun, feenartig, der sich opfert vor unseren Augen und unseren Ohren zu unserem Vergnügen und zur Erhebung unserer Seele und unseres Herzens, Teile von uns, die seltsam erhöht sind durch diese Bezeichnungen. Sie singt mit den Lungen in ihrem Uterus. Sie ist der größte Macho unter den Frauen. Eine ägyptische Gottheit, die Krokodilgöttin vom Nil, die alle frisst, sie benutzt und mega-missbraucht. Ein enormer kollektiver Mesmerismus, wie in dem Parfüm von Süßkind 

Und sie spielt Fußball, macht Kapriolen mit den Herzen. Und ich erkenne in ihr die Einsamkeit der Sängerinnen, wie die Einsamkeit des Langstreckenläufers, immer im grimmigen Wettbewerb mit sich selbst, der enorme Druck ihrer Einzigartigkeit, ihrer Einmaligkeit. Und ich erkenne in dieser dünnen Göttin und Selbstzerstörerin auch eine gigantische und mächtige transnationale Unbekannte.

Sie stöhnt, knurrt, seufzt, schluchzt, keucht, keift, schweigt und alles ist Gesang. Letztendlich scheint es mir, als ob sie nicht gesungen hätte oder wie Hölderlin über Orpheus sagt: „sie ist schon nicht mehr da und an ihrem Platz ist ein Baum des Gesangs gewachsen“.*






* Hier gibt es eine Fußnote: mein Verleger hasst diese Zitate, er durchschaut, dass sie erfunden sind. Aber Du wirst mir verzeihen Flaco, Borges haben sie es auch verziehen

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